Thomas Leist

Zusammen mit meiner Frau Petra Leist arbeiteten wir als Assistenten an der theologischen Hochschule in Frankfurt. Beide beabsichtigten wir beruflich den wissenschaftlichen Weg einzuschlagen und planten unsere Doktorarbeiten.

Um in Deutschland einen Lehrauftrag an der Hochschule zu erhalten, wurden drei Jahre Praktikum in einer Pfarrei vorausgesetzt, Auslandaufenthalte werden dabei angerechnet. Die Situation der Kirche in der Schweiz interessierte uns sehr, also bewarben wir uns kurzerhand in unserem Nachbarland um eine Stelle als Pastoralassistenten. Zu unserem grossen Erstaunen erhielten wir zahlreiche Angebote und der frühere Pfarrer Zimmermann suchte sofort den persönlichen Kontakt zu uns. Er weihte uns geduldig und mit viel Umsicht in die schweizerischen Verhältnisse ein, wir unterschrieben die Verträge und wollten im Herbst 96 unsere Stelle in Uitikon antreten. Völlig unerwartet und zu unserem grossen Bedauern verstarb Pfarrer Zimmermann am 31. Juli 1996.

Wir packten eiligst unsere Sachen, migrierten nach Uitikon, wurden in Kürze mit der Pfarreileitung beauftragt und erhielten damit notgedrungen einen Crashkurs in Seelsorge und Kirche Schweiz.

Dieser steile Aufstieg katapultierte uns unmittelbar mitten ins Gemeindeleben von Uitikon. Rückblickend sind wir erstaunt, wie offen und vorurteilslos uns in Uitikon damals begegnet wurde. Zwischenzeitlich hat sich die Situation allerdings etwas verändert, die allgemein starke Zuwanderung speziell auch von Deutschen wird heute mancherorts eher kritischer betrachtet. Wir aber genossen die freundliche und sehr tolerante Aufnahme in der Gemeinde und stellten bald fest, obwohl wir in unserem Beruf ausgestellt bzw. von einem gewissen öffentlichen Interesse sind, man lässt einander hier leben und respektiert die Privatsphäre.

Die Seelsorgearbeit wurde zum wesentlichen Inhalt unseres Lebens und vereinnahmte uns derart, dass unsere Promovierung den Bach runter ging, kam dazu, dass mein Doktorvater nach 2 ½ Jahren ebenfalls verstarb. Mittlerweilen durften wir aber auch erfahren, dass man in der Schweiz weniger titelgläubig ist als in Deutschland. Wissenschaftliches Arbeiten ist hier auch ohne Doktortitel möglich, wir freuen uns, beide nebenbei an der theologischen Fakultät in Chur arbeiten zu dürfen und uns damit den Blick über den Tellerrand der Gemeinde erhalten zu können.

Mittlerweilen ist Uitikon «unsere» Gemeinde geworden, so ist es nur logisch, dass wir nach 12 Jahren ein Einbürgerungsgesuch stellten und seit vergangenem Jahr stolze «Üdiker» Bürger sind. An Uitikon schätzen wir das aktive Vereinsleben, dass die Gemeinde auch politisch gut «gemittet» ist und für uns ganz besonders wichtig, ist die ausgezeichnete Situation im Bereich der Ökumene. Diese entspannte und freundschaftliche Zusammenarbeit, die bis zum Kirchentausch geht, geniessen und schätzen wir ganz besonders.

In den vergangen 10 Jahren stellen wir aber auch diverse Veränderungen fest. Tendenziell hat die Individualisierung stark zugenommen, dies wird zum Teil bereits im Baustil sichtbar, man schottet sich förmlich ab und zieht sich aufs Private zurück. Gesellschaftliche Anlässe verlieren mehr und mehr an Bedeutung, sogar der traditionelle Neuzuzügerabend, eine hervorragende Institution der Gemeinde, wird bedauerlicherweise immer weniger besucht. Mit der geplanten Überbauung des Leuen-Gebiets steht der Gemeinde eine grosse Herausforderung ins Haus. Wir sind der Auffassung, die Gemeinde tut gut daran, Integrationsmassnahmen aktiv anzupacken, damit das gute zwischenmenschliche Klima, die hervorragenden gesellschaftlichen und sozialen Strukturen der Gemeinde erhalten bleiben.